Anfänge der menschlichen Gesellschaft. 4 5
Frucht gewisser Grasarten kennen gelernt hatte und hier-
auf in Gegenden kam, wo Waitzen, Roggen, Spelz oder
Mais nicht von selbst wuchs, so konnte man auf den
Gedanken geführt werden, sich irgendwie den Saamen
dieser Getraideartcn zu verschaffen und sie anzubauen.
Auf diese oder ähnliche Weise mag der Anfang zum
Ackerbau gemacht worden seyn. In jedem Falle aber hat
mit dieser Lebensweise eine Reihe der merkwürdigsten
Fortschritte begonnen. Nicht btos überhaupt ein Eigen-
thum, sondern ein fester, unverrückbarer Besitz war
nunmehr gewonnen: man nahm Wohnung, um zu
bleiben, fühlte sich an den Boden gebunden und achtete
als eine Hcimath ihn theuer, und wenn bald die Zunahme
der Bevölkerung Schwierigkeiten und Störungen herbei-
führte, so wurde man dadurch auch wiederum auf Mittel
geleitet, welche das friedliche Zusammenbestehen Vieler
möglich machten. Hierin liegen unverkennbar die ersten
Keime bürgerlicher Ordnung und die Grundzüge einer
auf das Gesetz zu begründenden Gesellschaft. Doch ist
der Verlauf wohl nirgends ein so einfacher gewesen,
als wir vielleicht vorauszusehen geneigt sind. Entwe-
der traf man schon bei der Einwanderung frühere
Bewohner an, oder stieß doch bald nachher mit feindli-
chen Stämmen zusammen. Endigte der Kampf mit der
vollständigen Niederlage des einen Theils, so gerieth die-
ser, falls er nicht ausgerottet ward, in eine abhängige
Lage und mußte sich vielleicht zu Beschäftigungen herge-
den, die er freiwillig nimmermehr gewählt hätte. Gien-
gen beide Theile unbesiegt aus dem Kampfe hervor, so
mochten sie in den Besitz des Landes sich theilen, so doch,
daß die Einen fortfuhren, das Feld zu bauen, die Andern,
der Viehzucht oder Jägerei obzuliegen. Bei den Letzter»
konnte dann ein rüstiger, kriegerischer Sinn fvrtbestehen,
und jene, welche am Grund und Boden klebten, waren
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T15: [Wein Getreide Baumwolle Tabak Kaffee Obst Weizen Reis Zucker Kartoffel]]
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18 Erstes Hauptstäck. Bildung des Erdkörpcrs.
die Sage hie und da ein zweifelhaftes Licht auf jene
dunkeln Regionen wirft; und statt aufzuhetlen, mehrt sie
oft noch die Ungewißheit, indem ihre trügerische Leuchte
die Gegenstände verschoben, oder ins Riesenhafte ausgc-
mahlt zeigt. Die Größe des Zeitraums aber, der vom
ersten Auftreten des Menschen bis zur Staatcnbildung
verflossen ist, mag daraus annäherungsweise ermessen
werden, daß schon die ältesten Völker, welche wir kennen
lernen, im Besitze vollständig ausgeprägter Sprachen sind.
Denn welch' ein Abstand zwischen dem ersten thierischen
Ausdrucke der Empfindung und dem prachtvoll gerundeten
Bau, in welchem sich der Menfchengeist abspiegelt, wie
in diesem die Welt! Auf unsicher» Pfaden sind wir bis
zur Schwelle der Geschichte vorgedrungen, und erblicken
nun gleich beim ersten Aufglanze ihrer Fackel den Men-
schen hinweggerückt über die Jahre der Kindheit und auf-
erwachsen zum Gebieter der Erde, als welcher er Pflanzen
versetzt und Thicre zähmt, Sümpfe trocken legt und
Brücken über Ströme sprengt, Wälder lichtet, Wüsteneien
befruchtet und die Meere befährt, dem Marmor seine Ge-
danken aufdrückt, der Purpurschnecke ihren Saft auspreßt,
und die Perle aus dem Abgrund holt, damit alles Schöne,
was die Erde hat, ihn schmücke und kein Wagniß unver-
sucht bleibe, das ihn stark und weise machen kann.
Eine bisher geflissentlich vermiedne Frage darf nun
nicht länger abgcwicsen werden. Stammen die vielen
Völker, die unsre Erde bewohnen, sämmtlich von einem
Paare, oder stammen sie von mehreren ab? Ehe
wir hierauf antworten, ist es vielleicht nöthig, zu bemer-
ken, daß keines unsrer wichtigen Interessen gerade das
eine oder das andre Resultat erheischt. Denn in jedem
Falle steht unzweifelhaft fest, einmal, daß zwischen ver-
schiednen Mcnschenra^en ein sehr auffallender und mehr
als blos äusserlicher Unterschied Statt finde; dann aber
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T19: [Wasser Luft Eisen Körper Silber Gold Kupfer Metall Stein Erde]]
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22
Zweites Hanptstück.
bietet das von den Chinesen durchwanderte Land der jetzi-
gen Khvrkatschi - und Kukunor - Mongolen nicht nur sei-
nen Bewohnern, sondern auch zwei Strömen überreiche
Quellen dar. Denn von hier aus brechen sich der Ho-
nanghv und der Jantsekiang, jener durch das Jnschan-,
dieser durch das Aünling-Gebirge, ihre Bahnen nach
China hinab, um nicht sehr entfernt von einander in den
östlichen Ocean auszuströmen, gleichwie sie auf dem Hoch-
lande nachbarlich ihren Ursprung genommen haben. Viel-
leicht, daß die Stammväter der Chinesen den Krümmun-
gen des erstgenannten Stromes gefolgt sind; gewiß aber
haben sie sich, bevor sie in das Tiefland herabstiegen, ge-
raume Zeit in den hvchliegcnden Gegenden aufgchalten
und dort als Nomaden umgetriebcn. Wenn das Fami-
lienleben durchaus als die Grundform jedes Verhältnisses
zwischen Menschen und Menschen betrachtet werden muß, so
gilt dieß besonders von Hirtenvölkern, weit ihre Gesellschaft
nicht ein förmlicher Verband, sondern btvö eine Aneinan-
derreihung von Familien ist. Innerhalb seines Zeltes
und so weit sein Vieh grast, hat jeder Hausvater selbst
zu befehlen; wenn es sich aber von Dingen handelt, die
jede einzelne Familie, also alle zusammen betreffen, so
tritt, unter dem Beirathe der Aeltesten, das Stammhaupt
ein, dessen Gewalt folglich nur als eine Ergänzung der
väterlichen, demnach als die eines übergeordneten Haus-
vaters erscheint. Weil der Nomade kein ruhendes Eigen-
thum und keine bleibende Stätte hat, so bietet ihm die
Familie und der Stamm die einzigen Haltpunkte dar,
woran sein flüchtiges Dascyn sich knüpfen läßt. Um von
Andern unterschieden zu werden, muß er den Vater, den
Groß- und Urgroßvater nennen; um als Mitglied des
Stammes zu erscheinen, muß er sich auf das Oberhaupt
desselben berufen. Daher die Sitte der Nomaden, viel
auf Geschlechtsregister zu halten; daher das Bestreben,
TM Hauptwörter (50): [T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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32
Zweites Hauptstück.
aufgeschlossen. Daß es so kommen werde, hat Kongfutse
allerdings nicht vorausgesehen; aber daß es so gekom-
men ist, müssen wir als ein nothwendiges Ergebniß sei-
ner Lehre betrachten. Gehen wir daher ans diese über.
Ticn, der höchste Herrscher und Herr, durchdringt
Alles und weiß Alles; er hat keine Ohren, und doch
gibt es nichts, das er nicht vollkommen hörte; er sieht
nicht mit Augen, doch ist nichts, das er nicht vollkom-
men schaute; er ist das Erbarmen selbst, aber er prüft
auch Alles und hält über Alles sein Gericht. Während
das erste Glied des Alls der Himmel ist mit seinem im
Lauf der Gestirne sich abspiegelnden Gesetz, das zweite
Glied die Erde mit Wasser, Feuer, Metallen, Winden,
Donner, Regen und allen ihren Erzeugnissen, so tritt
der Mensch als das dritte Glied auf, unter allem Leben-
digen allein mit Erkenutnißvermögen begabt und mit
der Fähigkeit zum Guten oder Ävsen ausgerüstet. Als
dieses wesentliche Glied im All greift er auch noth-
wendig ein in das Bestehen des Ganzen. Bleibt er in
der rechten Mitte, regelt er durch Vernunft die Leiden-
schaften, so ist Gleichgewicht im Ganzen und der Mensch
wirkt in Gemeinschaft mit Himmel und Erde zur Erhal-
tung und Beschützung der Dinge in ihrem Daseyn. Der
Zustand der Vollkommenheit des Alls wird erreicht. Aber
durch die Sünde des Menschen und sein Abweichcn von
der rechten Mitte wird das Gleichgewicht im Leben des
Weltalls gestört ; der Lauf der Gestirne, die Jahreszei-
ten, der Vvgelflug, die Witterung, gerathen in Unord-
nung , wenn aus des Menschen Brust das rechte Maaß
verschwunden ist. Der Kaiser insonderheit ist der Sohn
des Himmels, ein Abbild und Stellvertreter desselben
auf Erden. Daher soll er, dem Himmel ähnlich, das Volk
durch Wvhlthaten beglücken; daher haben auch seine
Fehler zumeist eine Zerrüttung der Natur unmittelbar in
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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50
Zweites Hauptstück.
Lop- See vordrangen, die hohe Bucharei durchstreiften,
ihre Uebermacht sogar im Reiche Ta man am Japartes
oder Sihun und bei dem Volke der Siyu geltend mach-
ten, und an den Königen der Usun in der Songarci Ver-
bündete fanden, kamen sie dem Feind in die Flanke und
in den Rücken und zwangen ihn, nvrd- und nordwestwärts
zurückzuweichen. Endlich brachen in der Mitte des ge-
schwächten Feindes selbst Uneinigkeiten ans: die Horden
der südlichen Parthei traten um 47 nach Christus unter
den Schuh des Kaisers; der nördliche Theil verlor im
Jahre 87 eine blutige Schlacht gegen die Sianpi,
einen nord - und nordostwärts von China wohnhaften
Mongolenstamm, und 58 Horden der nördlichen Hiong-
uns boten dem Kaiser ihre Unterwerfung au. Allein die
Chinesen zogen die bereits unterworfnen Hiognus an
sich, fielen mit denselben in die Wohnsitze von jenen ein
und brachten ihnen 91 nach Christus eine so große Nie-
derlage bei, daß die nördlichen Hiouguus von da an in
der Geschichte Chinas verschwinden. Die Ueberreste dersel-
den verschmolzen, wie behauptet wird, mit den Sianpis,
welche in die leer gewordnen Steppen nachrückten.
Pantschao, ein großer chinesischer Feldherr, der zu Ende
des ersten Jahrhunderts nach Christus im Laude der
Siyu befehligte, brachte dunkle Nachrichten von Vorder-
asien in seine Heimath zurück, während Südchina von
Indien her besucht wurde, und — vielleicht über den per-
sischen und arabischen Meerbusen — Kunde von dem
großen Reiche am Ostrand der Erde bis ins fernste
Abendland gelangte. Zur selben Zeit also, da Rom unter
den ersten Kaisern auf dem Höhepunkte seiner Macht stand,
da die Boten des Christenthums, bald unbeachtet, bald
verfolgt, am Riesenbau ihrer Kirche arbeiteten, während am
Saume des Horizonts das seidenreiche Serie« zu däm-
mern begann, herrschte der Sohn des Himmels von
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r
54 Drittes Hauptftück.
stellte; nur in Umrissen aber haben wir die Epoche höfi-
scher Jntriguen und zerstörender Kämpfe gezeichnet, weil
wir anderwärts Gelegenheit haben werden, den Verfall
asiatischer Reiche zu beobachten. Jndcß können wir nicht
umhin, zu bemerken, daß von jener verhängnißvollcn Zeit
her ein Wurm zurückgeblieben sey, der mit leijem, aber
unermüdlichem Zahne an den schönsten Blüthen des Na-
tionalgeisteö genagt hat.
Drittes Hauptstürk.
Die Indier.
Der Mustag trennt die Songarei von der hohen
Bucharei, der Künlün die Bucharei von den Khorkatschi-
Mongolen und von Tibet. Dieses im Durchschnitt 10,000
Fuß hoch gelegne Land, doppelt so groß als Norwegen
und Schweden, die rauhe Heimath des Sind, Setledsch
und Tsanpu, ruht mit seinen Seen, Flächen, Alpthälern
und Gletschern auf dem Rücken eines Schneegebirgcs, das
auf Erden nicht seines Gleichen hat, und als mächtige
Scheidewand zwischen Hoch - und Südasien gelagert ist,
gleichwie die langgestreckte Wüste Gobi China von den
vordern Landen absondert, Dom obern Sind bis zum
Brahmaputra, 600 Stunden lang in der Richtung nach
Südost, bei einer Breite von 120 bis 140 Stunden, in
sechs bis sieben Parallclketten, deren nördlichste die andern
alle überragt, dehnt der H i m a l a y a oder das Hima-
lih-Gebirge sich aus. Die mittlere Höhe des Kam-
mes beträgt 14,592 pariser Fuß, aber Hunderte von Gra-
nitzacken steigen weit über diese Grundlage empor. Kei-
nes der fünfzehn Hörner, deren eisiger Kranz die Ganges-
quelle umgibt, sinkt unter 18,000 Fuß herab, während der
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Extrahierte Ortsnamen: Tibet Norwegen Schweden China
Die Indier.
55
Rudru eine Höhe von 20,990, der Surga - Ruhr von
21,475 Fuß erreicht. Aehnliche Gruppen kolossaler Ge-
birgsthürme blicken auf diequellen deryamuna, desgoggra
und Gandak, der Kosa und Tista hinab. Der Dschawa-
hir aber erhebt sich bis zu 24,156, der Tschumulari zu
26,266 und der Dawalagiri zu 26,5ä0 Fuß. Verhältniß-
mäßig hoch gehen daher auch die über das Gebirg füh-
renden Pässe, und zwar so, daß der Höhepunkt fast eines
jeden derselben über der Spitze des Montblanc liegt.
Unter den uns bekannten führt einer aus dem Tsanpu.
thale über Abhänge des Tschumulari an den Tschiutsiu,
einen Nebenstrom des Brahmaputra, und sieben dienen
zur Verbindung zwischen dem ober« Setledsch und dem
Gebiete des Ganges. Sv der Lebug-Paß, welcher den
östlichen Abhang des Dschawahir streift, und trotz der
Höhe von 17,706 Fuß zu den am meisten betretneu ge-
hört. Groß sind die Mühseligkeiten, die der Wanderer
auf solchen Pfaden zu überstehen hat. Auf der tibetani-
schen Seite mag er noch das feinwollige Schaf Purak als
Lastthier gebrauchen; auf der entgegengesetzten aber kann
der Transport nur durch Menschen geschehen. Neben
Abgründen und über einander gethürmten Felsen windet
der schmale Fußsteig sich hin; Balkenstcge und Hänge-
brücken zeigen über tosende Gewässer den Weg; nirgends
ein Baum oder Strauch: Sturmwinde um sausen den
Wanderer, und auf Schncefeldcrn muß er sein Nachtlager
nehmen. Langsam erreicht er die Mittelstufe des Bcrg-
landes, deren vielverzweigte Ketten von Birken, Kasta-
nien und Riesencedern beschattet sind; hat er endlich auch
diese hinter sich und das Waldgewirre des Vorlandes
durchschritten und den wüsten Landsaum durcheilt, wo in
Wäldern von Binsen und Schilf Nashörner und Elephan-
ten Hausen: so sieht er in einer Entfernung von 80
Stunden immer noch die Himalihberge im reinsten Schnee
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56
Drittes Hauptstück.
glanze erschimmern, während vor ihm gen Süden die
schwülen Thalebnen der Yamuna und des Ganges mit ih-
ren Reisfeldern und Lvtusgärten prangen. Einen Raum
von 600 Stunden, also eine Linie, die von Paris bis
Petersburg reichen würde, müßte derjenige zurücklegen, der
von der Nordgrenze Hindustans bis zum Kap Kvmo-
rin reisen wollte. Welch' überraschende Wechsel von
Landschaften, Gewächsen und Menschen würden auf die-
sem Wege dem Auge des Beobachters sich ausdrängen!
Immer aber sind die Schätze des tropischen Klimas in
größter Ueppigkeit da ausgebrcitet, wo Arme und Kanäle
eines Stroms den Boden bewässern, und die Ueber-
schwemmungen der Regenzeit eine befruchtende Schlamm-
erde ablagern. Denn im Oktober beginnt durch ganz
Centralindien hin, so wie aus der Küste Malabar, das
Wehen des Nvrdost-Mussons, und mit demselben Hitze
und Trockenheit. Atlmählig werden die Bäume entlaubt,
die Grashalme dorren, der Boden zcrlechzt, die Thiere
schmachten, die Bewohner verbergen sich hinter feucht ge-
haltnen Matten. Erst zu Ende Aprils schlägt der Wind
um; der Südwest, gegen die Himalihberge anstürmend,
führt Nebel und Wetter aus dem Ocean herauf; bang
liegt die Atmosphäre auf allen Geschöpfen, bis unter
furchtbar hallenden Donnerschlägen die Schleusten des Ge-
wölks sich aufthun und Regengüsse Herabstürzen, von de-
neu der Nordländer keinen Begriff hat. Jetzt rollen im
Himalih die Lawinen, schäumende Wildbäche reissen Fels-
blöcke und Bestien mit sich ins Tiefland; die Ströme än-
dern ihre Farbe, schwellen, übersteigen das Ufer und wäl-
zen röthliche Fluthen über Thäler und Ebnen hin. Erst
nach Monaten und allmählig ziehen sich die Gewässer zurück,
und hinter ihnen wandelt der Sämann. Am wolkenlosen
Himmel glüht die Sonne des Südens, und wie durch ei-
nen Zauberschlag sieht man plötzlich das öde Wassergefilde
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Extrahierte Ortsnamen: Paris Petersburg Hindustans
Zendvolk, Relkgion und Sprache desselben. 129
Gott des Feuers herrschte, von dessen Macht die Naph-
thaquellen Zeugniß gaben, so mußte im nördlichen kalten
Turan ein entgegengesetzter Gott, ein Fürst der Finster-
uiß gebieten, dem Alles unterthan war, was den Män-
nern von Iran schadete und mißfiel.
Sechstes Hauptstück.
Babylon.
Nachdem der Euphrat und Tigris, jener auf
mehr gekrümmtem, dieser auf kürzerem Wege die Hoch-
gebirge Armeniens durchbrochen haben, rollen sie ihre
benachbarten Gewässer durch eine langgestreckte Ebne dem
persischen Meerbusen entgegen. Der stärkere Euphrat hat
flache Ufer; da beide durch die Schneemassen ihrer Hei-
math regelmäßig angeschwellt werden, und der- Boden
sich nach Osten zu abdacht, fluthet die Ueberfütle jenes
Stroms, ohne auf Widerstand zu stoßen, weit in das
Land herein, bis sie dem brausenden Tigris begegnet.
Wo Vertiefungen sind, erzeugt die Hitze des Klimas
nach der Ueberschwemmung alsbald giftige Sümpfe. Aus-
serdem mangelt es rings umher nicht nur an kcrnhaftem
Bauholze, sondern, ebenso sehr auch an Steinen. Hier
also, möchte es scheinen, habe die Natur menschlichen
Wesen den Anbau verweigert. Und gleichwohl sind ge-
rade au den Ufern dieser Ströme, in dieser sumpfigen,
holz- und steinarmen Fläche nacheinander Babylon,
Ninive, Seleucia und Ktesiphvn aufgebläht, und
noch heutigen Tages spiegelt sich ein Schattenbild von
Bagdad in den Wellen des Tigris, und in Bassora
am Schat el Arab treffen die Waareu der Araber, Per-
ser und Hin du stau er zusammen. Denn der öde mesopo-
Baucr's Gesch. I. Bd. 9
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Babylon.
139
den. Die Sonne scheint es, haben sie mit weiblichem
Angesichte, auf einem Wagen fahrend abgebildet. Aus
dem Worte des Jeremias: „ein Land der Götzen ist es,
und der Abgötter rühmen sie sich," können wir schließen,
daß sie noch andre Sterne ausser den genannten verehrt
haben mögen. Das Kastenthum hatte im Allgemeinen
entweder nie bestanden, oder frühe schon den willkühr-
lichen Eingriffen des Despotismus weichen müssen; ein
geschloßner Priester stand aber, eine Kaste der Wei-
sen, wie Daniel sie nennt, suchte durch Opfer und Zau-
berei Unglück abzuwendcn, war mit Vogel- und Opfer-
schau beschäftigt, las den Charakter und das Schicksal
der Menschen, bevorstehende Witterung, Erdbeben, Son-
nen - und Mondsfinstcrnisse in den Sternen, und pflanzte
mancherlei Kenntnisse durch Familienübcrlicferung fort.
Sterndeuter ei füllte in Babylon die Stelle des Ora-
kelwesens aus, das bei allen Völkern des Alterthums
eine so wichtige Rolle gespielt hat. Denn je beschränkter
der Kreis von Ursachen und Wirkungen war, den man
überschaute, je geringer folglich die Auswahl unter schon
vorgekommnen Fällen, die jetzt wieder eintreten konnten,
ein desto größres Feld stand den dunkeln Eingebungen
der Furcht offen, so daß man doppelt rathlos und ängst-
lich der Zukunft entgegen sah, und der erfahrnere Prie-
ster, dessen Rath in jeder Verlegenheit helfen sollte, nicht
einmal verstanden worden wäre, falls er dem kindischen
Frager auseinandergcsetzt hätte, daß dieß nun so kom-
men werde, weil jenes so gewesen. Er begnügte sich also,
schlechthin zu erklären, cs werde geschehen, und der An-
dre, dem ein solches Wissen unbegreiflich dünkte, sah es,
weil ja der Priester gesprochen hatte, als unmittelbare
Mittheilung der Götter an. Sv wurde der Klügere,
auch wenn er cs nicht gewollt hätte, in die Herzensange-
legenheiten des Unerfahrnen hineingczogen, und eine Grund-
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